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Der Hund an der Kette

 

Der Hund an der Kette verliebte sich in eine Rose. Diese stand nur eine Schnauzenlänge von ihm entfernt. Näher konnte er ihr nicht kommen, denn mehr ließ die Kette, an der er schon jahrelang hing nicht zu.

 

Der Hund an der Kette hatte, durch sein begrenztes Leben an der Kette, über die vielen Jahre hinweg seinen Geruchssinn verloren. Dieser hatte sich, in seiner sensiblen Nase, auf das reduziert, was sich innerhalb seines Radius von 1,5 m befand und auf die wenigen Duftwölkchen in der Luft, die der Wind zu ihm wehte.

 

Doch da war auf einmal die Rose!

 

Sie wuchs quasi vor seiner Nase ganz frech an einem Hauseck empor. Die Knospe öffnete sich eines Tages aus heiterem Himmel und schoss ihren betörenden Duft in die Luft. Einfach so!

 

Der Hund an der Kette war wie betäubt und gleichzeitig besessen von ihr. Er wollte sie beschnüffeln, mit seiner Nase berühren. Er wollte sie in sich einsaugen, sie kosten, ja, am liebsten fressen, damit er sie, mit ihrem wahnsinnig machenden Duft für immer in sich tragen konnte.

 

 

Der Hund an der Kette sah sie verliebt an. Jeden Tag. Jede Nacht. Tag für Tag.

 

Er wollte und konnte nichts mehr fressen. Er verschmähte sein Futter jeden Tag. Er wollte nichts zwischen ihn, seiner Nase, und die Rose an anderen Gerüchen dazwischen lassen. Nichts, aber rein gar nichts durfte sich zwischen ihn und seine Rose drängen.

 

 

Er wollte die Rose so gerne mit seiner Nasenspitze "küssen". Ihr zeigen wie sehr er sie liebte. Seine Sehnsucht wuchs und wuchs. Er zitterte und sein ganzer Körper bebte in der Nacht, weil er von ihr träumte. Er träumte sich ein Leben zusammen mit der Rose zurecht.

 

Er und die Rose würden zusammen in Freiheit, da Draußen, durch dick und dünn gehen. Sie würden gemeinsam durch die Wälder streifen, in der Wiese liegen, die Wolkenbilder am Himmel betrachten und zusammen lachen. Sie würden gemeinsam reisen, sich die Welt ansehen und abertausende von neuen Gerüchen aufnehmen und sammeln. Sie würden sich innig lieben und ihr großartiges, gemeinsames Leben in Freiheit genießen.

 

So träumte der Hund an der Kette bei Tag und während der Nacht von der großen Freiheit mit seiner Rose.

 

 

Der Hund an der Kette lag bereits seit 7 Jahren an der Kette. Er wurde schon als Welpe an die Kette gewöhnt. Als er 1 Jahr alt war, wurde er nicht mehr von der Kette gelöst. Die einzig wahre Zeit in Freiheit kannte er nur von seiner Geburt bis zur 8. Lebenswoche und da war er noch abhängig von seiner Mutter. Er musste gesäugt werden, wie seine Geschwister und sich seinen Platz an der Zitze stets neu erkämpfen. Meistens wurde er weggedrückt von den anderen und bekam nur wenig ab. Somit konnte er sich nicht so schnell und so gut entwickeln wie die anderen. Weil er der Schwächste in der Meute war, bekam er kaum Beachtung. Die Mutter biss ihn sogar immer öfter weg, wenn er endlich auch an ihren frei gewordenen Zitzen saugen wollte. Wenn er mit den anderen Welpen spielen wollte, um auch sein "Training" mit ihnen zusammen ausüben zu können, wie man im Leben groß, stark und mutig wird und sich zur Wehr setzen kann und seinen Feinden entkommen kann, sein Futter findet usw. schubsten und knurrten diese ihn erst eine Zeit lang von sich, aber was noch viel schlimmer war, plötzlich fingen sie an ihn völlig zu ignorieren.

Keiner, nicht einmal seine Mutter, interessierte sich für ihn. Und schon war er der geborene Kettenhund! Ein so gebrochener Hund, der von seinem Rudel als Schwächster ausgestoßen wurde, ist das perfekte Opfer – und Opfer lassen sich versklaven! Versklavung ist für solche Hunde die einzige Form der Anerkennung die ihnen übrig bleibt, ansonsten müssten sie sterben.

 

 

Der Hund an der Kette beugte sich vor zur Rose so weit er konnte. Er machte seinen Hals ganz lang, er streckte seine Schnauze weit nach vorne, er fuhr seine Zunge aus soweit es ging ... und ... schlapp, schlapp, er hatte eine der Rosenblütenblätter mit seiner Zungenspitze ganz leicht berührt!

 

Mmmh, er hatte den Duft der Rose in sich.

 

Einige wenige Duftmoleküle zogen in die Geschmacksdrüsen der Hundezunge tief ein.

 

Das Blatt fiel ab.

 

Just in dem Moment löste sich die Kette vom Bodenanker aus verchromten Stahl. Der Hund an der Kette bemerkte es nicht. Er lag völlig benommen auf der Erde, überwältigt vom Duft der Rose in seiner Nase, auf seiner Zunge, ja überall in ihm drin schienen die Duftmoleküle nun zu tanzen.

 

Er war nun frei, endlich frei, aber er bemerkte es nicht.

Er lag von seinem Erfolgserlebnis völlig überfordert da, sah Sternchen vor seinen Augen flimmern und träumte während dessen wieder seinen schon so oft geträumten Traum von der Freiheit, einem Leben in Freiheit von sich und seiner Rose.

 

Er und die Rose würden zusammen in Freiheit, da Draußen, durch dick und dünn gehen. Sie würden gemeinsam durch die Wälder streifen, in der Wiese liegen, die Wolkenbilder am Himmel betrachten und zusammen lachen. Sie würden gemeinsam reisen, sich die Welt ansehen und abertausende von neuen Gerüchen aufnehmen und sammeln. Sie würden sich innig lieben und ihr großartiges, gemeinsames Leben in Freiheit genießen.

Er lag da, frei, und träumte von der Freiheit, wünschte sich nichts sehnlicher als diese und malte sich ein Leben in Freiheit aus, in Liebe und mit Hilfe seiner Rose.

 

Diese sprach zu ihm: "Steh` auf und geh`!"

 

Doch der Hund lag nur da und träumte. Träumte von Freiheit, Frieden und Glück.

 

Es wurde Abend. Von weitem hörte man ein Auto kommen. Die Besitzer des Hundes kamen nach Hause. Das Garagentor ging auf und dann wieder zu.

 

Die Rose sprach noch einmal zum Hund an der Kette: "Du bist frei! Steh` auf und geh`!"

 

Der Hund spitzte die Ohren, er wedelte mit dem Schwanz, er stand auf und jauchzte vor Freude. Er tanzte rund um seinen Bodenanker herum, die gelöste Kette rasselte dabei hinter ihm am Boden her, er machte Luftsprünge ...

 

Die Schritte und Stimmen seiner Besitzer näherten sich. "Ich seh` noch mal kurz nach Rex.", sagte er. "Ok!", sagte sie.

 

Die Rose sprach ein letztes Mal zu dem Hund an der Kette:

 

"Rex, Du bist frei! Lauf!"

 

Rex hörte sein Herrchen immer näher kommen. Er rannte und sprang voller Freude immer nur im Kreis herum. Er jaulte und bellte ganz laut: "Ich bin frei, ich bin frei!"

 

Sein Herrchen befand sich nun im Sichtbereich. Rex drehte bald durch vor Freude.

"Aus!" ertönte es. Rex verstummte abrupt. "Sitz, Rex!", folgte ein zweites Kommando. Rex setzte sich sofort und wedelte mit dem Schwanz, die Augen verfolgten sein Herrchen und seine Zunge hing seitlich aus dem Maul.

 

Der Besitzer des Hundes kontrollierte den Bodenanker wie jeden Abend. "Ah, ein Kettenglied ist aufgebogen und die Kette hat sich gelöst! Braver Rex, bist gar nicht abgehauen. Mach Platz!" Rex ging in die Platz-Position, hechelte freundlich mit erhobenen Kopf und blickte treu zu seinem Herrchen auf. "Warte brav", meinte dieser, "ich muss eine Zange holen."

 

Rex, der Kettenhund, der 7 Jahre lang an der Kette hing, lag frei, mit gerissener Kette am Boden und wartete.

 

Die Rose verströmte noch ein letztes Mal, bevor es dunkel wurde, ihren verführerischen Duft, den Duft der Freiheit.

Die Duftwolke schwelte direkt unter der Nase von Rex hindurch. Rex nahm einen tiefen Atemzug und ...

 

 

 

 

Michelle Sager, 26.04.2013

 

 

❏ ... rannte weg!

 

❏ ... legte seinen Kopf zum Schlafen auf den Boden.

 

❏ ... wartete treu auf seinen Besitzer.

 

❏ ... ______________________________________

 

 

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